Auf den Spuren der WikingerAuf den Spuren der Wikinger: Die Statue von Leif Eriksson, der Amerika entdeckte

„Was haben Island, Grönland und die USA gemeinsam?“ Lächelnd schaut Lektor Hans-Joachim Kürtz im Theater der „Ocean Diamond“ in das ratende Publikum, bevor er den Passagieren auf die Sprünge hilft: „ Die Wikinger haben diese Länder entdeckt.“  Kürtz war zwei Jahrzehnte lang ZDF-Korrespondent in Skandinavien und hat viele Beiträge und Dokumentationen über Grönland und Island gedreht, den beiden Ländern der vom Hamburger Veranstalter Iceland ProCruises angebotenen Seereise „Auf den Spuren der Wikinger“.

Mit der Ocean Diamond geht es von Grönland nach Island
Mit der Ocean Diamond geht es von Grönland nach Island

Von Kangerlussuaq führt die zwölftägige Fahrt über Sisimiuth, Uummannaq, Illulisaat mit seinem UNESCO-Weltnaturerbe, dem Eisfjord, Grönlands Hauptstadt Nuuk, Narsarsuaq, das von dem Wikinger Erik, dem Roten gegründet wurde, die Westmänner-Inseln bis nach Reykjavik. Fast jeden Tag lädt Hans-Joachim Kürtz zu seinen Vorträgen ein, bereitet auf Landausflüge oder Zodiacfahrten vor und referiert vor allem über die Wikinger. Der 84-jährige hat dabei so viel Wissen angehäuft, dass er mühelos noch viele weitere Stunden erzählen könnte. Auf der „Ocean Diamond“ hängt das Publikum an seinen Lippen, wenn er Verbreitung, Kultur, Geschichte, Mythen und Götter oder Schifffahrt der Wikinger referiert und dabei viele Bilder zeigt.

Der Herzberg in Uummannaq
Der Herzberg in Uummannaq

Nach wie vor haben die Wikinger einen lebhaften Einfluss auf unsere Phantasie: Mit den Nordmännern verbindet man oft die Vorstellung von beutegierigen und trinkfesten Seeräubern, die plünderten, brandschatzten und Sklavenhandel trieben. Doch es gab auch friedliche Ansiedlungen und die Wikinger entwickelten ein weit ausgreifendes Handelsnetzwerk. Mit ihren starken, schnellen Schiffen ließen sie ihre Heimatländer weit hinter sich zurück – nicht nur um zu plündern, sondern auch aus reiner Entdeckerlust.

Auf den Spuren der Wikinger
Auf den Spuren der Wikinger: Die Statue von Leif Eriksson, der Amerika entdeckte

Vermutlich wären auch sonst mal Abgesandte irgendeines anderen Volkes gen Nordwesten gesegelt und hätten die neue Welt bestaunt. Denn im Fall der heutigen Vereinigten Staaten feiert man ja immer noch einen italienischen Hochstapler, der zwar wunderbar Eier auf den Kopf stellen konnte, aber bei seinem eigentlichen Ziel so meilenweit daneben lag wie Uli Hoeneß beim EM-Elfmeter in Belgrad oder bei seiner Steuererklärung. Aber es waren die Söhne Midgards, die unerschrocken den wilden Wogen und rauen Winden des Nordatlantiks widerstanden, um nach wochenlangen  Irrfahrten, in denen auch noch Schmalhans Küchenmeister war, Fuß auf Neuland zu setzen.

Zwei von Stürmen ins damals unbewohnte Island verschlagene Wikinger mit ihrem Gefolge brachten um 860 die Kunde von dem herrenlosen Land heim nach Norwegen. Daraufhin machten sich einige Nordmänner auf und siedelten sich im Nordwesten Islands an. Der Fischreichtum direkt vor der Haustür ließ sie aber vergessen, dass man für den Winter besser Vorsorge zu treffen hatte. Als Eis die Fjorde füllte und Schnee das Land bedeckte, verhungerte das mitgebrachte Vieh und auch die Siedler litten. Sobald wie möglich flohen sie aus der unwirtlich gewordenen Gegend und berichteten nach der erzwungenen Rückkehr in dramatischen Berichten von dem kargen „Eis-Land“. Die Insel hatte damit ihren heutigen Namen Island weg.

Die Ocean Diamond im Hafen von Reykjavik
Die Ocean Diamond im Hafen von Reykjavik

Trotzdem gab es eine zweite Einwanderungswelle, denn der norwegische König Harald zwang, einen nach dem anderen, dreißig Kleinkönige unter seine Herrschaft, zu einem norwegischen Gesamtreich. Das schmeckte nicht unbedingt jedem, vor allem aber nicht den wikingischen Dickschädeln, die nicht einsehen wollten, dass sie nun als Untertanen dem König Tribut zollen sollten. Die trotzigen Bauern zogen scharenweise westwärts über das Meer. Dazu kamen die in allen Auswanderungen üblichen Abenteurer, Glücksritter, Tunichtgute und Geächtete: der als Stammvater der Isländer geltende Ingolfur Arnarson, der 874 als erster sesshafter Siedler auf der Insel landete, wurde in Norwegen wegen Totschlags des Landes verwiesen.

Arnarson segelte los, Gott Odin selbst suchte ihm den Wohnort aus, in einer Bucht, an der sich heute Reykjavik befindet. Dorthin hatte Odin die Hölzer treiben lassen, die Ingolfur vor der Küste ins Meer geworfen hatte. So ist Reykjavik die einzige Hauptstadt, die ihre Lage den Launen der Götter verdankt. Doch nur hundert Jahre nach der Besiedlung Islands wurde es einigen auch dort schon wieder zu eng. Dutzende von Bauern setzten nach Grönland über, das Erik der Rote 982 entdeckt hatte. Auch einer der wohl bekanntesten Wikinger war ein Krimineller und nicht freiwillig aus Island weggegangen: nach einem tödlich ausgegangenen Streit wurde Erik, der Rote, für drei Jahre verbannt. Anstatt in den Lavafeldern Islands ein kümmerliches Dasein zu fristen, machte sich Erik auf nach Westen.

Die Eriksbucht
Die Eriksbucht

Die Zwischenstation auf dem Weg zum amerikanischen Kontinent hieß Brattalihd. Erik der Rote gab der Insel wegen der saftigen Weiden in diesem Teil des Landes ihren Namen (Grönland = altnordisch für Grünland). Wie ein perfekter Werbestratege lockte er damit weitere Wikinger aus Island. Drei Jahre später hatten sich bereits 300 Familien angesiedelt.

So grün ist es in Westgrönland
So grün ist es in Westgrönland

Die Wikinger gingen aber nicht nur auf Entdeckungstouren, sondern waren auch prima Geschäftsleute, die es hervorragend verstanden sehr große, gewinnbringende Margen zwischen Ein- und Verkauf herzustellen. Sie unternahmen mit ihren Schiffen dabei weitreichende Handelsreisen und holten Importware gerne persönlich im Erzeugerland ab. Es wurde nicht groß geschachert und gefeilscht, Verträge waren nicht notwendig: Der Handschlag eines Wikingers zählte. Vor allem, wenn er mit Axt oder Schwert ausgeführt wurde.

Mit ihren blutigen Blitzüberfällen versetzten sie vor allem die Küstenregionen des mittelalterlichen Europas in Angst und Schrecken. Die Nordmänner machten auch vor Kirchen und Klöstern nicht Halt. Im Gegenteil: da dort meist fette Beute zu holen war, verschonten die heidnischen Barbaren gerade die Diener Gottes nicht, wenn sie mit ihren Drachenkopfbooten mordend, plündernd und brandschatzend fremde Länder heimsuchten.

Einfachste Erdhügel bildeten anfangs primitive Behausungen
Einfachste Erdhügel bildeten anfangs primitive Behausungen

Auf Grönland legte man eine Ost- und eine Westsiedlung an, die von den ersten Siedlern am Eriksfjord errichteten Höfe bildeten den Kern der Ostsiedlung, die in der Nähe von Qaqortoq lag. Der Name ist verwirrend, weil dieser Ort in Westgrönland liegt, erklärt sich aber dadurch, dass man erst nach Osten segeln muss, um aus der Bucht herauszukommen.Etwa 500 km nördlich der Ostsiedlung entstand die Westsiedlung nahe der heutigen Hauptstadt Nuuk, die jedoch stets unter weniger günstigen Bedingungen existieren musste. Zwischen den beiden Siedlungen gab es noch einige verstreute Höfe beim heutigen Ivittuut. Um das Jahr 1000 waren praktisch alle klimatisch in Frage kommenden Gebiete Grönlands besiedelt. Die Kolonie näherte sich ihrem Bevölkerungsmaximum, um 1300 lebten auf knapp 300 Höfen in West- und Ostsiedlung mehr als 5.500 Menschen. Man lebte von der Landwirtschaft sowie dem Export von wertvollen Tierfellen, Kleidungsstücken aus Schafwolle und Stoßzähnen des Narwals. Im Gegenzug versorgte man sich mit Waren, die man nicht selbst herstellen konnte, vor allem Produkte aus Metall. Von Island und Norwegen aus fuhren regelmäßig Handelsschiffe.

Gedenkstein für Erik und die ersten Siedler
Gedenkstein für Erik und die ersten Siedler

In den neu besiedelten Gebieten gab es keine Macht, die für Ruhe und Ordnung sorgen konnte. Jede Sippe und jede Gemeinschaft übte eine ureigene Justiz aus, was bei den rauffreudigen Wikingern meist sehr blutig ausging. Und natürlich musste die unterlegene Partei diese Schmach ausmerzen, was zu einem perpetuum mobile der Blutrache führte, in dem sich die Siedler über Jahrhunderte aufrieben. Selbst die spätere Gewohnheit die schwersten Streitfälle vor dem Thing, der nach germanischem Vorbild tagenden Vollversammlung, klären zu lassen, führte nicht zu weniger Blutvergießen. Die Feindseligkeiten flammten nur umso heftiger auf und da man gerade so schön beisammen saß, nutzten außer den Streithähnen auch andere Wikinger die Gelegenheit alte Rechnungen zu begleichen oder neuen Händel anzufangen. Selbst die gewählten Richter schwebten in höchster Gefahr, wenn ihr Urteil nicht den Vorstellungen der Parteien entsprach.

Irgendwie galt es seinerzeit wohl auch eher als unehrenhaft, daheim auf der Schaffellpritsche eines natürlichen Todes zu sterben. Ein richtiger Wikinger fiel in der Schlacht, notfalls auch beim Nachbarn nebenan. Denn nur dann, so die damalige Vorstellung, kam man ins Wikingerparadies: an die reichgedeckten Tafeln Walhallas, wo der Met in Strömen floss, willige Walküren tanzten und die Besten sich sogar mit der schönsten aller Göttinnen, Freya, das Nachtlager teilen durften. Welch verlockende Aussichten für das, wüsten Gelagen nicht abgetane, feierfreudige Kriegervolk. Und wer schon mal einen etwas längeren Freitagabend in einer der zahlreichen Bars von Reykjavik verbracht hat, wird umgehend bestätigen, dass die alten Wikinger allen Grund hätten, auf ihre Nachfahren Stolz zu sein.

Frauenmangel und Blutauffrischung waren ein großes Thema bei den Siedlern in Island und Grönland. Damit in den beiden Siedlungen nicht bald jeder mit jedem verwandt war, raubte man sich die Zukünftige kurzerhand nach guter, alter Wikingerart auf den Beutezügen in Europa. Besonders die keltischen Frauen müssen es den Wikingern angetan haben. Denn in einer von der isländischen Regierung in Auftrag gegebenen Gen-Datenbank kann man feststellen, dass in isländischen Adern viel keltisches Blut fließt. Aus diesem Projekt entstand eine Verwandtschafts-App für Smartphones, die in dem kleinen Land ein Riesen-Hit wurde:  das erste, was ein Isländer macht, wenn er eine nette Frau kennenlernt, die ihm vielleicht auch länger gefallen könnte, ist, nach draußen oder auf die Toilette zu gehen. Dort zückt er sein Smartphone und schaut in der Datenbank nach, über wie viele Ecken er mit ihr verwandt ist. Das Ob ist meist keine Frage, da nahezu jeder Isländer seinen Stammbaum bis zu einer der 400 Gründerfamilien zurückverfolgen kann, die vor gut 1.100 Jahren Ingolfur Arnason auf die Insel folgten, und die Abkömmlinge dieser Familien sich seit einem Jahrtausend bunt untereinander mischen.

In Grönland klappte das nicht ganz so gut, die Siedlungen bestanden rund 500 Jahre, bis sie aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen wieder aufgegeben wurden. Das letzte norwegische Handelsschiff erreichte Grönland im Jahr 1406, kurz danach waren die Wikinger spurlos verschwunden. Ab dem 15. Jahrhundert verschlechterten sich die klimatischen Bedingungen dramatisch. Bis 1850 gab es eine sogenannte kleine Eiszeit  und eine derart starke Temperatursenkung muss fatale Auswirkungen auf eine bäuerliche Gesellschaft gehabt haben, die sich ohnehin immer im Grenzbereich der Existenzmöglichkeit befand. Häufige Missernten und eine dauernde Hungersnot könnten allmählich zum Aussterben der Kolonie geführt haben. Forscher führen ein Zusammentreffen verschiedener Gründe an: Bodenerosion durch Überweidung, Mangel an Rohstoffen wie Eisen und Holz, Krieg mit den Inuit und der Klimawandel wirkten zusammen. Einige Experten ziehen auch eine Massenauswanderung nach Amerika in Betracht, aber dafür gibt es bisher keine Belege. Als am wahrscheinlichsten gilt derzeit eine allmähliche Rückwanderung nach Island. Dort, in der Hauptstadt Reykjavik, kommt auch die „Ocean Diamond“ an. Die Passagiere haben auf dieser Reise nicht nur die fantastischen Eislandschaften und die Spuren der Wikinger in Grönland gesehen, sondern dank des hervorragenden Lektors Hans-Joachim Kürtz auch viel Wissen über die Wikinger und ihre Nachfahren mit nach Hause nehmen können.

 

 

Von Ingo