Mit Kapitän Ryndt am Captain´s TableMit Kapitän Ryndt am Captain´s Table

Die 88-jährige Beatrice Muller verbringt ihren Lebensabend auf einem Kreuzfahrtschiff. Als ständigen Wohnsitz wählte die rüstige Seniorin die „Queen Elizabeth 2“.

Mit Kapitän Ryndt am Captain´s Table
Mit Kapitän Ryndt am Captain´s Table

Sie hält Hof, so majestätisch wie sie da sitzt, als Ehrengast am Tisch des neuen Kapitäns Christopher Rynd. Im Gegensatz zu dem drahtigen Neuseeländer, der  zum ersten Mal das Kommando auf der Queen Elizabeth 2 übernommen hat und sich nach einer Woche immer noch verläuft, kennt Beatrice Muller jeden Winkel des Schiffes. Nach mehr als 100 Transatlantikreisen, rund 2.800 Bordtagen und gut einer halben Million Seemeilen hat sich „Bee“, wie sie hier jeder nennt, auf die Begegnung mit dem Novizen diebisch gefreut: „Ich werde ihm schon erzählen, wie er mein Schiff zu führen hat!“

Lieber auf die QE 2 als ins Altersheim

Gleich auf der ersten Kreuzfahrt 1995 mit ihrem Mann Robert, hatte es ihr die Queen Elizabeth 2 angetan: „Für mich kam kein anderes Schiff mehr in Frage. Wir wurden so süchtig, dass wir immer wieder zurückkommen mussten.“ Seitdem fuhr das Paar jedes Jahr monatelang in die Welt hinaus, selbst als Kettenraucher Robert schwer erkrankte. Er starb Ende März 1999 mit 85 Jahren an Lungenversagen vor der Küste Indiens. Nach 57 Jahre Ehe kam Bee alleine nach Hause zurück, in die Kleinstadt Bound Brooks, 35 Meilen vor New York. Die Söhne Geoffrey und Alan waren schon lange weit weg gezogen und Muller fühlte sich trotz ehrenamtlicher Arbeit bei Girl Scouts, dem Roten Kreuz und der Kirche einsam:„40 Jahre lang habe ich die halbe Stadt organisiert, sie haben mich sogar gefragt, ob ich Bürgermeisterin werden wollte. Aber auf einmal war alles anders.“ Die luxuriösen Seniorenresidenzen, die sie sich daraufhin überall in den USA anschaute, schreckten sie ab: „Unter den ganzen Alten wäre ich doch verblödet und vor lauter Langeweile bestimmt schon gestorben. Junge Leute, wie ich sie hier auf dem Schiff treffe, halten mich jung.“ Ein Gespräch mit Sohn Alan brachte sie schließlich auf die Idee, für immer auf die Queen Elizabeth 2 zu gehen. Bis zur nächsten Weltreise im Januar verkaufte sie ihren gesamten Besitz: Zwei Häuser, Autos, Möbel, das Familiensilber – und fühlte sich irgendwie befreit.

18 m² Zuhause auf Deck 4
18 m² Zuhause auf Deck 4 der Queen Elizabeth 2

Die neu gewonnene Freiheit mit Vollpension und Quartier auf dem Meer kostet sie mit Frühbucher- und Vielfahrerrabatt etwa 7.000,- Dollar pro Monat. Mit Extras wie Getränken, Reinigung, Ausflügen und Trinkgeldern, die sie am  Ende der Saison verteilt, zahlt Bee rund 100.000,- Dollar im Jahr. Dafür lebt sie auf 18 m² in einer Innenkabine, in der Mitte des Schiffes und möglichst weit unten, da ist es bei Sturm am ruhigsten. Ein großer Schreibtisch mit Sitzecke dominiert den Raum, als einziger Schmuck stehen überall Bilder des verstorbenen indischen Religionsführers Meher Baba, den sie verehrt. Briefe, Fotos und andere Erinnerungen an ihr Leben an Land bewahrt sie in einer  Schublade unter dem Bett auf. Die Mannschaft sieht sie als ihre Familie an, fast jeder hält mit ihr ein kurzes Schwätzchen, wenn er sie trifft. Crewmitglieder antworten höflich und zurückhaltend, wenn man sie auf die prominente Passagierin anspricht, aber man hört deutlich heraus, dass es wie in jeder längeren Beziehung auch Krisen gibt. Denn Bee nimmt kein Blatt vor den Mund. Wenn ihr etwas missfällt, geht sie mit Änderungsvorschlägen zu dem betreffenden Verantwortlichen: „Das ist doch meine Pflicht.“

Gesamten Besitz verkauft

Gleich auf der ersten Kreuzfahrt 1995 mit ihrem Mann Robert, hatte es ihr die QE 2 angetan: „Für mich kam kein anderes Schiff mehr in Frage. Wir wurden so süchtig, dass wir immer wieder zurückkommen mussten.“ Seitdem fuhr das Paar jedes Jahr monatelang in die Welt hinaus, selbst als Kettenraucher Robert schwer erkrankte. Er starb Ende März 1999 mit 85 Jahren an Lungenversagen vor der Küste Indiens. Nach 57 Jahre Ehe kam Bee alleine nach Hause zurück, in die Kleinstadt Bound Brooks, 35 Meilen vor New York. Die Söhne Geoffrey und Alan waren schon lange weit weg gezogen und Muller fühlte sich trotz ehrenamtlicher Arbeit bei Girl Scouts, dem Roten Kreuz und der Kirche einsam:„40 Jahre lang habe ich die halbe Stadt organisiert, sie haben mich sogar gefragt, ob ich Bürgermeisterin werden wollte. Aber auf einmal war alles anders.“ Die luxuriösen Seniorenresidenzen, die sie sich daraufhin überall in den USA anschaute, schreckten sie ab: „Unter den ganzen Alten wäre ich doch verblödet und vor lauter Langeweile bestimmt schon gestorben. Junge Leute, wie ich sie hier auf dem Schiff treffe, halten mich jung.“ Ein Gespräch mit Sohn Alan brachte sie schließlich auf die Idee, für immer auf die Queen Elizabeth 2 zu gehen. Bis zur nächsten Weltreise im Januar verkaufte sie ihren gesamten Besitz: Zwei Häuser, Autos, Möbel, das Familiensilber – und fühlte sich irgendwie befreit.

Das bekommt auch Kapitän Rynd beim gemeinsamen Dinner zu spüren. Der erfahrene Seemann, der bereits elf Kreuzfahrtschiffe befehligt hat, absolvierte vor seinem Einsatz auf der QE 2 zwar ein 14-tägiges Training auf dem einzigen 360 Grad-Schiffssimulator der Welt in Florida, doch ihm schwant schnell, dass es auch zumindest eine gesellschaftliche Klippe zu umschiffen gilt. Auf schwierige nautische Manöver war Rynd eingestellt, denn die Queen Elizabeth 2 ist beim An- und Ablegen nicht einfach zu kontrollieren. Von der resoluten Art seiner Tischdame ist der neue Kapitän aber etwas überrascht und froh, sich nach dem Essen an seinen Schreibtisch zurückziehen zu können. Dort fällt ihm später ein, wie er reagieren muss, um die beiden alten Ladies am besten zu steuern:„Sanft und zuvorkommend, aber bestimmt und immer schön langsam !“

Tägliches Tänzchen mit dem Cruise Director

Langsamer Walzer ist der Lieblingstanz von Bee. Tanzen ist ihre große Leidenschaft und so trifft man sie trotz künstlicher Hüfte mindestens vier Mal pro Woche abends im Queen´s Room, dem Ballsaal: „So lange ich den Beat noch habe, kriegt mich keiner von der Tanzfläche, bloß Cha Cha und Rumba gehen nicht mehr so richtig.“ Von den Tanzkünsten der dafür eigens engagierten Gentleman Hosts ist sie nicht vollends überzeugt, nur Chefunterhalter Thomas Quinones kann mit ihr Schritt halten. Der 50-jährige hat als ausgebildeter Schauspieler und Opernsänger sogar schon mit Placido Domingo gearbeitet. Seine Bühne ist jetzt die QE 2, wer Thomas im Frack auf dem Heritage Trail, der historischen Führung über das Schiff mit Exponaten aus der Cunard- Geschichte, gesehen und seine Anekdoten gehört hat, vergisst das Erlebnis nicht so schnell.

Täglich ein Tänzchen im Queens Room
Täglich ein Tänzchen im Queens Room der Queen Elizabeth 2

Seit 15 Jahren arbeitet der ursprünglich als Aushilfe geholte Quinones acht bis zehn Monate pro Jahr auf dem Schiff. Er hat viele Prominente betreut, David Bowie und Hildegard Knef sind ihm am besten im Gedächtnis geblieben. Er drehte mit Udo Lindenberg den Film „Atlantic Affairs“ und war Star der Harald-Schmidt-Show, weil er selbst den wortgewandten Showmaster sprachlos machte. Thomas kümmert sich als Ansprechpartner der Passagiere auch um Exzentriker wie jene Amerikanerin, die mit einem ganzen Stofftierzoo anreiste und mit all ihren Plüschlieblingen im Restaurant am Tisch sitzen wollte. In zähen Verhandlungen konnte sie der geborene Diplomat überzeugen, auf der Kabine zu speisen, damit  die scheuen Kuscheltiere nicht von wildfremdem Menschen gestört würden. Da er ständig anderen die Freizeit möglichst angenehm zu gestalten versucht, legt Thomas besonders viel Wert auf die eigenen Freistunden. In jedem Hafen hat er ein Lieblingsrestaurant, kennt die angesagten Bars und weiß, wo man gut und günstig einkaufen kann. In Gibraltar ist er bereits frühmorgens unterwegs, um zollfreien spanischen Wein und englische Cracker für den Käse zu besorgen, den er vor vier Tagen in Holland  geholt hat. Nach Feierabend hat er ein paar Kollegen auf seine Kabine eingeladen. Obwohl er in den Ferien kein Wasser sehen möchte und am liebsten in die Berge fährt, kann sich Thomas keinen anderen Job mehr vorstellen. Das akzeptiert auch sein Freund Neil, der im gemeinsamen Haus in Birmingham auf ihn wartet. Täglich halten die beiden per E-Mail Kontakt und so treffen sich Thomas und Bee neben der Tanzfläche am häufigsten im Computerzentrum. Während die Mutter auf See ist erledigen die Söhne ihren Papierkram und schicken die wichtigsten Dokumente mit der elektronischen Post. Mit 80 Jahren hat die ehemalige Privatsekretärin das erste Mal einen Computer angefasst, heute verbringt sie jeden Tag eine Stunde damit E-Mails abzurufen, Freunden zu schreiben und ihre Besuche an Land vorzubereiten. Alle zwei Jahre, wenn die „Queen Elizabeth 2“ zur Überholung in die Werft muss, verbringt Bee die Zeit bei ihrem Sohn Alan in Boston. Auch sie lässt sich dann durchchecken, der Schiffsarzt, der bereits ihren Mann betreute und mit dem sie eine tiefe Freundschaft verbindet, schickt sie regelmäßig zu einem großen medizinischen Test an Land. Nach Bound Brooks zieht sie nichts mehr, in den Jahren, die sie auf See war, sind viele Nachbarn und Freunde umgezogen oder gestorben. An Land wird sie schnell unruhig und ist froh, auf das Schiff zurückkehren zu können: „Ich habe keine Enkelkinder, meine Schwiegertöchter haben sich um ihre Karriere gekümmert und sind jetzt zu alt, um Kinder zu bekommen. Meine Enkelkinder sind die Youngster an Bord, die sich erst zurechtfinden müssen.“

 

Mit dem Lieblingskellner im Caronia Restaurant
Mit dem Lieblingskellner im Caronia Restaurant

 

Allein, aber nicht einsam

Bekanntschaften hat Bee dagegen auf dem Schiff zuhauf geschlossen, auch mit Prominenten wie Komiker Bill Cosby oder Nelson Mandela, der sie besonders beeindruckt hat. Trotzdem ist sie jedes Mal etwas traurig, wenn sie sich trennen muss: „Auf den Atlantiküberquerungen verabschiedet man sich ja schon nach sechs Tagen, aber auf den Weltreisen kommen jedes Jahr etwa 400 bekannte Gesichter zumindest für eine Teilstrecke zurück. Egal, wo wir sind, irgendjemanden treffe ich immer.“ Einsam ist sie an Bord noch nie gewesen, es gibt viele Unterhaltungsmöglichkeiten wie Bibliothek, Kino, Theater und Bordfernsehen. Zu Weihnachten kommt immer einer der Söhne, an ihrem Geburtstag gratuliert neben der gesamten Crew auch Reedereiboss Mickey Arison mit einem persönlichen Brief. Oft wird sie von Passagieren eingeladen, hat Freunde rund um den Erdball. Manchmal sind Bee small talk und der ganze Trubel allerdings lästig, dann flüchtet  sie in ihre Kabine und lässt die Welt draußen zurück. Und kommt nur raus, um liebgewordene Gewohnheiten zu pflegen, wie Bridge-Partien an Seetagen, die tägliche tea time um 16.00 Uhr oder an ihrem Lieblingsfensterplatz zu lesen. Als nächstes möchte sie selbst ein Buch schreiben, interessierte Verlage gibt es genug und so scheint es nur eine Frage der Zeit bis „Ein Leben auf See“ erscheinen wird. Angst, nicht zu Ende schreiben zu können, hat Beatrice Muller nicht. Und auch die anfängliche Furcht, ihr zuhause zu verlieren, ist gewichen. Denn zunächst war die alte Dame geschockt, als sie vom  Verkauf der „Queen Elizabeth 2“ an Dubai World erfuhr. Im Emirat beendete der Luxusliner im November 2008 seine Karriere , um nahe „The Palm Jumeirah“, der größten von Menschenhand errichteten Insel für immer festmachen. Der Liner sollte als schwimmendes Luxushotel mit Konferenz- und Einkaufszentrum sowie einem Museum zur Geschichte der Reederei Cunard Line umgebaut werden. Doch mit der Finanzkrise wurden alle Pläne gestoppt.

“Ich gehöre doch selber ins Museum”

Zunächst hatte Miss Bee überlegt, auf dem Schiff in Dubai zu bleiben: “Ich bin so alt, ich gehöre doch selbst schon ins Museum. Da bin ich doch auf der QE 2 immer noch genau richtig.“ Doch dann erschien ihr die Aussicht den Rest ihres Lebens an einem einzigen Ort zu verbringen als zu langweilig. Beatrice Muller hat sich so sehr an Kreuzfahrten und unterschiedliche Häfen gewöhnt, dass sie sich nun erstmals die beiden anderen Schiffe der Reederei anschauen wird: „Die Queen Mary 2 ist mir mit ihren gewaltigen Ausmaßen eigentlich zu groß, ich glaube, dass die Queen Victoria eher etwas für mich ist. Schon der Name ist sie mir sehr sympathisch, Queen Victoria war doch eine sehr energische Frau, die wusste, was sie wollte und sich durchsetzen konnte.“ Gewisse Parallelen sind unverkennbar.

 

Beatrice Muller starb im Herbst 2015 in ihrer Heimatstadt. Ein anderes Schiff hatte die konsequente alte Dame nach ihrem Umzug von der Queen Elizabeth 2 niemals betreten.

Von Ingo

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