Reportage über eine Fahrt in die Nordwestpassage mit der Farm von Hurtigruten, die leider an den Eisverhältnissen scheiterte. Lesenswert!Reportage über eine Fahrt in die Nordwestpassage mit der Farm von Hurtigruten, die leider an den Eisverhältnissen scheiterte. Lesenswert!

Von Manfred Ertel

Als Kapitän Sir John Franklin am 19. Mai 1845 in London in See stach war die Zuversicht allenthalben groß, endlich das letzte Teilstück einer schiffbaren Abkürzung vom Nordatlantik zum Arktischen Ozean zu finden – die legendäre und mythische Nordwestpassage.

Das ökonomische Interesse der Briten an einer schnellen Nordroute für ihre Schiffe nach Asien war groß und der Aufwand deshalb auch. Die britische Admiralität hatte deshalb mit dem damals 59jährigen Franklin den wohl erfahrensten Arktis-Kenner mit der Aufgabe betraut und mit der „HMS Terror“ und der „HMS Erebus“ die wohl eistauglichsten Schiffe ihrer Zeit unter sein Kommando gestellt. Woran und warum die Mission dennoch scheiterte ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fakt ist nur: Alle 134 Mann Besatzung, Matrosen, Ärzte und Offiziere, blieben im Eis. Sie ließen unter dramatischen Umständen ihr Leben für einen Mythos, der bis heute fortbesteht: die Nordwestpassage.

Sir John Franklin
Sir John Franklin

Gut 170 Jahre später haben erst vergleichsweise wenige Schiffe die Durchfahrt durch die Nordwestpassage geschafft, 2009 zum ersten Mal auch Kreuzfahrtschiffe. Die „MS Fram“ will unbedingt dazugehören. Das Flaggschiff der Reederei „Hurtigruten“, erprobt auf zahlreichen Törns in die Antarktis und die Arktis, wollte  zum ersten Mal in seiner Geschichte die Nordwest-Passage fahren, „auf den Spuren der großen Entdecker – Kurs West“. Im Kielwasser von Franklin, Ross, Parry oder Amundsen könnten auch heute „nur wenige Schiffe“ durch dieses Gebiet navigieren, so hatten sie das Abenteuer angepriesen. An Bord der „Fram“ sind deshalb 226 Passagiere aus etwa einem Dutzend Ländern, die dafür satte fünfstellige Summen gezahlt haben.

Vor allem die Geheimnisse um den  britischen Konteradmiral Franklin haben sie elektrisiert. Nur eine karge handschriftliche Notiz, die eine Suchmannschaft im Mai 1859 an der Westküste von King William Island in einem Steinmal entdeckte,  gab immerhin ein wenig Aufschluss über das Schicksal Franklins:  Im April 1848 hatte die noch lebenden  „105 Seelen“ ihre im Packeis festsitzenden Schiffe aufgegeben, um sich zu Fuß irgendwie zu retten. Ihr Weg führte in den eisigen Tod. Franklin war bereits ein Jahr zuvor, am 11. Juni 1847, gestorben. Erst 2016 wurde das Wrack seiner „Terror“ in nur 24 Meter Tiefe auf dem Grund vor der Südspitze von King Williams Island entdeckt, zwei Jahre zuvor war die „Erebus“ ein ganzes Stück weiter südlich vor einer Halbinsel gefunden worden.

HMS TERROR gefangen im Packeis (Zeitgenössischer Stich)
HMS TERROR gefangen im Packeis (Zeitgenössischer Stich)

Das waren die Spuren, denen die „Fram“-Expedition nun von Grönland aus durch die Baffin Bay zur Einfahrt in den kanadischen Arktis-Archipel folgen wollte –  immer hart auf historischem Kurs. Zuerst durch den Lancaster Sound westwärts nach Beechey Island, wo drei Gräber der ersten Toten aus Franklins Besatzung liegen. Dann weiter durch den Prince Regent Inlet gen Süden, am früheren Handelsposten Fort Ross vorbei bis nach Gjøa Haven. Hier hatte der Norweger Roald Amundsen zwei Jahre überwintert, bevor er 1906 als erster Mensch überhaupt die Nordwest-Passage durchsegelte. Vorbei am Wrack der historischen „Terror“ vor der Küste von King Williams Island, wo Franklins Männer um ihr Leben kämpften, sollte die Expedition dann in Cambridge Bay enden, einem kleinen Zentralort im Westen.

Soweit der Plan.

Das Wrack der Erebus wurde 2014 entdeckt
Das Wrack der Erebus wurde 2014 entdeckt

 

Es ist der 6. Tag, als die „Fram“ von Grönland kommend in den Lancaster Sound einfährt und schnell wird klar: Kurs West existiert nur auf den Seekarten. Der Weg ist dicht, blockiert von gewaltigen Eismassen. Ausweichruten gibt es nicht, kein Durchkommen. „Natur ist Natur“, sagt Arktis-Expertin Karin Strand, die Expeditionsleiterin auf der „Fram“, „wir können nur auf besseres Wetter hoffen“. Hoffnung ist auf See und erst recht in der Arktis ein schlechter Ratgeber. „Auf dieser Expedition geben die Elemente den Ton an: Wetter, Wind und Eis“, hatte es denn auch in den Reiseankündigungen geheißen. Doch so hatte sich das keiner der Expeditionsteilnehmer vorgestellt. Auch vor Sunden, Kanälen und Meeresarmen nach Süden, auf denen frühe Entdecker bisweilen die Eisbarrieren umfahren konnten, türmen sich dicke Korken undurchdringlichen Eises. Und das nicht erst seit gestern. Nach Cambridge Bay hat es in diesem arktischen Sommer, Klimawandel hin oder her, noch kein einziges Schiff geschafft. Das war durchaus bekannt. Nur den Passagieren nicht.

Gjøa Haven liegt gut abgeschirmt hinter dicken Eispanzern, die alle Zufahrten wie Pfropfen in der Flasche fest verschließen. Vor Beechey türmen sich Massen von See-Eis zu einer kaum zu durchdringenden Sperre. Zwei Kreuzfahrer, die eine kurzzeitige Lücke genutzt hatten, sitzen seit Tagen im Prince Regent Inlet fest und warten auf Hilfe kanadischer Eisbrecher. Die „Canada Adventure“, ein vergleichbares Schiff, musste mehrfach aus dem Eis befreit werden, berichtet die Crew. Und ein umgebautes ehemaliges russisches Forschungsschiff hat offenbar Grundberührung und liegt ebenfalls fest.

„Die Gewässer sind neu für alle von uns“, sagt Kapitän Ole Johan Andreassen, der sonst wenig sagt. Es klingt beinahe etwas Mitleid suchend: „Aber wir können nichts machen“. Expeditionsleiterin Strand beschwört die Zuversicht: „Wir geben die Hoffnung nicht auf“. Sie steht vor Eiskarten mit lauter roten und orangenen Flächen, die unpassierbare Eisflächen markieren. Wetterstationen signalisieren die ungewöhnliche Eislage seit Wochen. „Oh, dieses Eis“, stöhnt sie, und fühlt sich ein bisschen wie beim Gucken „in die Kristallkugel“. Von Plan B und C mit völlig neuen Zielorten und Abflughäfen ist die Rede, und scherzhaft auch von einer Alternative D: „Wir überwintern“, Franklin lässt grüßen. Alles lacht. Aber die große Lockerheit ist verflogen. Gelassenheit ist Anspannung gewichen, der Kapitän ist nicht zu sprechen.

Was kann es auch für Lösungen geben, wenn sich die Spuren der großen Entdecker, denen gefolgt werden sollte, so früh im Eis verlieren? Die wohl nördlichste Ansiedlung mit knapp 130  Inuit-Bewohnern, Grise Fiord, ist ein berührender Beweis, wie sich Menschen und unwirtliche Natur zu einer Zweckgemeinschaft verbünden können und dabei stolz und glücklich sind. Die Croker’s Bay mit Gletschern und frischen Spuren  von Eisbären ist von erhabener Schönheit, der man als europäischer Großstädter mit großer Demut begegnet. Und der Eisbär in der Sonne bleibt zum Glück in sicherer Distanz. Aber historische Spuren, von Franklin und Co.? Fehlanzeige.

Die Hoffnungen schwinden bei den Passagieren wie vor 170 Jahren wohl der Optimismus bei der handverlesenen Besatzung Franklins. Der Rückflughafen von Cambridge Bay ist nicht erreichbar, der Ausweich-Airport Resolute von Eis versperrt. Das Schiff dümpelt zwischen Eisschollen, ein paar  Robben und Seehunde sorgen kurzzeitig für Ablenkung, es ist ein Spiel auf Zeit. Immerhin: Eine Luftbrücke vom Flugfeld mit Schotterpiste in Point Inlet am Eingang des Lancaster Sounds kann eingerichtet werden. Kleine Propellermaschinen müssen die Gäste ausfliegen. Das dauert Stunden. Immerhin ergeht es ihnen besser als den Forschern, die im Eis überwintern mussten oder gar für immer dort blieben.

 

Die neuen Passagiere für die Rück-Passage von Ost nach West werden statt nach Cambridge Bay gleich nach Baffin-Island geflogen, die Ostwest-Passage im Flug. Statt auf den Spuren Franklins geht es für sie ein bisschen an der Küste lang und dann nach Grönland. Und die nächste Tour 2019 ist bereits ausgebucht. Die Moral aus der Geschichte? Es gibt Naturgewalten, die sind bis heute nicht zu bändigen, auch nicht von einer gut geölten Tourismusindustrie mit Hochglanzversprechungen. „Wir können nichts machen“, sagt der Kapitän zum Abschied, Natur ist und bleibt eben Natur – eine teure Erfahrung.

DER AUTOR:

Manfred Ertel ist einer der renommiertesten Journalisten in Deutschland. Knapp 40 Jahre war Manfred politischer Autor und Korrespondent beim SPIEGEL. Im Jahr 2012 gewann er mit einem Team den Henri-Nannen-Preis für die Berichterstattung über die Wirtschaftskrise in Griechenland. Der in Hamburg-St. Pauli lebende 68-jährige arbeitet heute als freier Autor und Buchautor, auch für Kreuzfahrten: Queen Mary 2 – Leben mit einer Königin ( https://koehler-mittler-shop.de/shop/koehler/neuheiten-koehler/ertel-manfred-leben-mit-einer-koenigin-vom-alltag-an-bord-der-queen-mary-2/)

Von Ingo