Zwischen 3.000 und 3.500 Eisbären leben auf und um SpitzbergenZwischen 3.000 und 3.500 Eisbären leben auf und um Spitzbergen

Am Gepäckband in Longyearbyen auf Spitzbergen wartet ein Eisbär. Regungslos beobachtet er die nach ihren Koffern und Taschen suchenden Menschen. Gut, er ist ausgestopft, aber nicht minder imposant als ein lebendiges Exemplar. Aufgerichtet würde das Pelztier die meisten Ankommenden am nördlichsten Linienflughafen der Welt  um vier Köpfe überragen. Und auch, wenn es scheinbar einige Passagiere an Leibesfülle mit ihm aufnehmen möchten, gegen die gewaltigen Pratzen und die breiten Schultern sehen sie klein und schmächtig aus.

Bereits am Gepäckband des Flughafens Longyearbyen steht ein Eisbär
Bereits am Gepäckband des Flughafens Longyearbyen steht ein Eisbär

Die meisten Touristen und vor allem die Gäste der Expeditionsschiffe reisen nach Spitzbergen, weil sie in der Natur lebende Eisbären erleben und den König der Arktis aus möglichst geringer Distanz betrachten wollen. Auf und um Svalbard, wie die Norweger die Inselgruppe nennen, sollen mehr Eisbären als Menschen leben. Rund 2.600 Einwohner sind auf dem Archipel registriert, mehr als 2.100 davon allein in der Hauptstadt Longyearbyen, einer ehemaligen Minenarbeitersiedlung. Mehr als 3.000 Eisbären, so schätzt man, gibt es in und um Spitzbergen.

 

Auch auf Hotelschilder - Eisbären sind in Longyearbyen allgegenwärtig
Auch auf Hotelschildern – Eisbären sind in Longyearbyen allgegenwärtig

In Longyearbyen trifft man sie auf Schritt und Tritt: auf Schildern, Plakaten, als Skulptur und selbst leibhaftige Exemplare.  Wie am Flughafen steht auch im Hotel Radisson ein mächtiger Eisbär, der mal lebendig war. „Einar“ spazierte eines Tages am Stadtrand umher, verschwand bevor die Behörden reagieren konnten, aber  tauchte dann eine Woche lang immer mal wieder auf.  Das Städtchen schien ihm zu gefallen, schließlich musste er erlegt werden, weil er sich nicht verjagen ließ und Behausungen und Menschen ständig gefährlich nahe kam. Letztendlich bekam Einar seinen Willen aber doch und fand sein Plätzchen in der Wahlheimat. Jetzt steht er aufgerichtet in der Hotellobby und man mag sich nicht vorstellen, was dieser Koloss hätte anrichten können. Wer sich außerhalb der Stadt bewegt oder gar auf längere Wanderungen oder Expeditionen geht, muss bewaffnet sein. Eisbären sind unberechenbar und äußerst gefährlich, vor allem, wenn es wochenlang nichts zu fressen gab.

Einar ist jetzt in einer Hotellobby zuhause
Einar ist jetzt in einer Hotellobby zuhause

Seit 1973 ist in Norwegen die Jagd auf Eisbären verboten,  Verstöße werden streng bestraft. Eisbären dürfen nur getötet werden, wenn sie gefährlich werden könnten oder gar angreifen. Das kommt öfter vor als man denkt, von 1974 bis 2016 wurden in Spitzbergen offiziell 131 erlegte Bären verzeichnet, der letzte im August 2016 in der Nähe von Barentsburg. Jeder Abschuss muss gemeldet werden und wird untersucht. Wenn die Untersuchungskommission Anzeichen dafür findet, dass man durch sein Verhalten zum Abschuss beigetragen hat –  beispielsweise, weil man einen wandernden Eisbären verfolgt und so gestört hat, dass er angreift – werden hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen verhängt. Zufällige und ungewollte Begegnungen sind auf Spitzbergen aber die Regel, ein Eisbär kann immer und überall auftauchen so wie das Tier, das es sich im April vergangenen Jahres mitten auf der Hauptstraße in Longyearbyen gemütlich machte. Dieser Bär wurde von sofort herbeigerufenen Spezialisten betäubt und mit einem Hubschrauber 200 Kilometer weiter nach Nordauslandet gebracht.

Bis zu 600 Kg bringt ein erwachsenes Männchen auf die Waage
Bis zu 600 Kg bringt ein erwachsenes Männchen auf die Waage

Auch die letzten Toten durch Eisbären sind auf Spitzbergen nicht lange her:  ein Jahr zuvor griff ein großes Männchen eine Gruppe zeltender Studenten an, tötete einen und verletzte mehrere Menschen schwer. Offenbar hatte das mitgeführte Gewehr Ladehemmung und war nutzlos. Noch gefährdeter aber sind die Eisbären  selbst. Der Klimawandel lässt immer mehr Eis und damit ihr Jagdrevier schmelzen. Auf der Suche nach Nahrung dringen die Riesen deshalb immer öfter in Siedlungen ein. Um die Kindergärten in Longyearbyen wurden darum bereits hohe Absperrgitter errichtet.

Trotz Jagdverbot sind Eisbären noch gefährdet

Die fünf Arktis-Anrainerstaaten haben alle eigene Eisbären-Gesetze, Norwegen verfügt über das wohl umfassendste und für die Tiere beste. Die Population wird weltweit auf 20. bis 25.000 Exemplare geschätzt. Noch 1970 gab es rund 35.000 Eisbären, aber die Situation war schon deutlich schlechter als derzeit: zumindest in Spitzbergen scheint sich die Population zu erholen, das Jagdverbot erwies sich dabei als sehr hilfreich. Allerdings steigt die Zahl nicht so schnell, wie die Forscher hofften. Die in der Region Spitzbergen lebenden 3000 Tiere stellen etwa 60 Prozent eines gesunden Bestandes dar.

Die Zahlen stammen von Dr. Tom Smith von der Universität Montreal, der als die Eisbären-Koryphäe schlechthin gilt. Während seiner Vorträge an Bord des Expeditionsschiffes „Expedition“, das dem weltweit führenden Veranstalter für Abenteuerreisen, G Adventures aus Toronto gehört, erfahren die Passagiere viel Wissenswertes. Mit ihm und dem US-Amerikaner John Kernan sind zwei der führenden Eisbär-Experten an Bord. Der 75-jährige Smith, der seine Forschungen 1963 begann und mehr als 200 wissenschaftliche Studien veröffentlicht hat, lebte sogar mit einem Inuit-Stamm für mehr als zwei Jahre auf dem ewigen Eis, um die stolzen Tiere zu erforschen. Er gehörte zu den ersten Forschern weltweit, die Eisbären markierten, um Wanderungen und Verhalten zu studieren. Mitte der 1960-er Jahre betäubte Smith die weißen Riesen vom Hubschrauber aus und setzte ihnen Ohrmarken sowie ein Funkhalsband. Dann folgte er den markierten Tieren in großem Abstand mit einem Hundeschlitten. Heute sind seine Methoden Standard, mit moderner Technik wie GPS-Sendern können die Aufenthaltsorte der größten Landsäugetiere nun per Satellit verfolgt und aufgezeichnet werden.

Männchen werden bis zu 30 Jahre alt, Weibchen um die 20 Jahre
Männchen werden bis zu 30 Jahre alt, Weibchen um die 20 Jahre

Männchen werden zwischen 2,40 bis 3,10 Meter groß, wiegen zwischen 400 bis 600 kg und werden bis zu 30 Jahre alt. Weibchen messen zwischen 1,80 und 2,40 Meter, bringen 150 bis 250 kg auf die Waage und erreichen ein Alter um 20 Jahre herum. Ihre Tatzen sind etwa 35 cm groß, mit festen, nicht einziehbaren Krallen bewehrt, die problemlos auch die harte Lederhaut eines Walrosses aufreißen. Gegen das gleißende Licht in der Arktis hilft ein Häutchen, das sie als Blend- und UV-Schutz über das Auge klappen können. Die Fellhaare sind hohl und luftgefüllt, das gibt Auftrieb beim Schwimmen und isoliert. Als weiterer Kälteschutz dient die fünf bis zehn Zentimeter dicke Fettschicht unter der Haut. Eisbären sind schnelle und ausdauernde Schwimmer mit unglaublichen Werten: sie schwimmen bis zu 80 Kilometer am Tag und Eisbären 30 Kilometer vom nächsten Land oder Treibeis entfernt anzutreffen, gilt als normal. Aber Dr. Smith traf während seiner Arktisaufenthalte auch schon auf ein Tier, das 200 Kilometer vom nächsten festen Boden entfernt war. Ein anderer Bär schaffte es, per GPS-Halsband wissenschaftlich nachgewiesen, rund 232 Stunden am Stück zu schwimmen und dabei 687 km zurückzulegen. Eisbären sind gute Taucher und können problemlos mehr als drei Minuten unter Wasser bleiben.

Eisbären lieben das Wasser
Eisbären lieben das Wasser

Um die 60 Kilometer am Tag legen Eisbären auf Wanderung zurück, die normale Geschwindigkeit liegt bei fünf bis sechs Kilometer pro Stunde. Wer den massig und klobig erscheinenden Tieren aber in weniger als 200 Meter gegenübersteht, sollte sich tunlichst nicht vertun: im Angriffsmodus erreichen die Kolosse bis zu 40 Stundenkilometer. Allerdings nur auf kurze Distanzen, denn der Energieverlust ist hoch. So macht die Jagd an Land  auch nur einen insgesamt kleinen Teil aus. Wenn, dann versuchen die weißen Riesen sich anzupirschen und dem sich darbietenden Leckerbissen auf unter 20 Meter zu nähern, bevor sie lossprinten. Selbst dann sind die Überlebenschancen für die vermeintlichen Opfer relativ gut, weil der Vorsprung meistens reicht, um fliehen zu können. Im Schnitt ist nur jede fünfte Jagd an Land erfolgreich.

An Land ist nur jede fünfte Jagd erfolgreich
An Land ist nur jede fünfte Jagd erfolgreich

Bessere Chancen haben Eisbären, wenn sie an einem Wasserloch oder direkt an der Eiskante beim Übergang zum Wasser für Stunden regungslos verharren und warten. Taucht eine Robbe auf, versucht der Jäger ihr in den Nacken zu beißen, um sie schnell zu töten. Denn Robben haben eine recht erfolgreiche Abwehrstrategie entwickelt: wenn der Eisbär nicht präzise tötet, drehen sie sich schnell um die eigene Achse um zu entkommen und können dem Fressfeind auf diese Art sogar das Genick brechen. Gerade noch mal entkommene Robben erkennt man an den langen Kratzspuren, die die Eisbärenkrallen beim diesem Herausrollen hinterlassen haben. Allerdings weiß man auch schnell, woher der Ausdruck „Bärenkräfte“ kommt, wenn man sieht, mit welcher Leichtigkeit die weißen Riesen nach erfolgreicher Jagd eine 260 Kilogramm schwere Robbe aus dem Wasser ziehen.

Ausgewachsene Eisbären sind Einzelgänger und nur selten trifft man mehrere Exemplare auf einmal
Ausgewachsene Eisbären sind Einzelgänger und nur selten trifft man mehrere Exemplare auf einmal

Eisbären haben einen hervorragenden Geruchssinn, die empfindliche Nase nimmt Robben über mehr als zwei Kilometer wahr. Ringelrobben sind die Lieblingsspeise, sie machen 85 Prozent der Nahrung aus. Es folgen Bartrobben und Walross, wobei der Jagdplan für letztere vorsieht, Jungtiere zu separieren oder bei der Flucht durch eigene Artgenossen verletzte Tiere zu erlegen. Gegen ausgewachsene Walrossbullen, die bis zu 1800 kg wiegen, ziehen Eisbären meist den Kürzeren. Die weißen Giganten sind aber Allesfresser, beim kargen Angebot ihrer äußerst unwirtlichen Umgebung können sie es sich nicht leisten allzu wählerisch zu sein. So stehen auch Walkadaver auf dem Speiseplan und Dr. Smith beobachtete schon Tiere, die nach Algen tauchten und diese verzehrten. Der Magen fasst  bis zu 150 kg, meist werden in einer Mahlzeit um die 80 kg genossen. Eine Robbe reicht so für zwei bis drei Speisungen. Eisbären können bis zu vier Monate ohne Fressen auskommen, dann schlafen sie acht bis neun Stunden am Tag, um Energie zu sparen.

Die Jungen folgen der Mutter zweieinhalb Jahre auf Schritt und Tritt
Die Jungen folgen der Mutter zweieinhalb Jahre auf Schritt und Tritt
Meistens sind es zwei Junge pro Wurf
Meistens sind es zwei Junge pro Wurf

Im Gegensatz zu den meisten Bärenarten halten sie keinen Winterschlaf. Die majestätischen Tiere sind Einzelgänger, bis auf den Paarungsprozess und die Aufzucht der Jungen, die das Weibchen übernimmt, sind sie alleine unterwegs.  Nur an Walkadavern oder anderen großen Nahrungsangeboten kann man manchmal Gruppen antreffen. Männchen werden mit sechs Jahren geschlechtsreif, die erste erfolgreiche Paarung dauert aber meist bis zum zehnten Lebensjahr. Weibchen sind mit vier bis fünf Jahren paarungsbereit. Die Tragezeit beträgt sechseinhalb Monate, de Wurf besteht aus ein bis vier Jungen, meist sind es zwei. Normalerweise werden sie zwischen November und März geboren und bleiben bis Mitte April in der Geburtshöhle, die das Weibchen für den Wurf gegraben hat. Eisbären haben eine hohe Sterberate, nur zwischen 43 und 52 Prozent überleben bis zum fünften Lebensjahr. Bis zu 20 Monate lang nehmen die Jungen Muttermilch, bis zu zweieinhalb Jahre bleiben sie bei der Mutter, um jagen zu lernen. Am Ende des dritten Sommers werden die Heranwachsenden von der Mutter verjagt, die dann bereit für frischen Nachwuchs ist. Selbst im Idealfall werden Eisbären also nur alle drei Jahre trächtig. Kombiniert man dies mit der hohen Sterblichkeitsrate ist schnell klar, warum die Art latent gefährdet ist.

 

Das Norwegische Polarinstitut in Tromsö führt darum ein Register und verfolgt den Lebensweg markierter Bären. Die Forscher nehmen die Hilfe anderer Experten gerne an, so dass Dr. Tom Smith jede Sichtung nicht markierter Tiere auf und um Spitzbergen an die norwegischen Kollegen weitergibt. Auf der neuntägigen Expeditionsseereise mit der „Expedition“ waren das einige, insgesamt sieben Exemplare, darunter eine Mutter mit zwei Jungen wurden bei der Spitzbergenumrundung gefunden und ausführlich beobachtet. So viele Eisbären in freier Natur in so kurzer Zeit wird kaum ein Passagier in seinem Leben jemals wieder sehen.

Informationen vom Norwegischen Polarinstitut unter www.pbsg.npolar.no

Diese und weitere Reisen  sind buchbar bei Polaris Tours, dem Spezialisten für Schiffsreisen in der Arktis und Antarktis. Weitere Informationen unter www.polaris-tours.de oder unter Telefon: +49 (0) 8822 – 948 66 0. Kataloganforderung per Mail unter info@polaris-tours.de

Diese Reise wurde unterstützt von G Adventures (www.gadventures.de) und Polaris Tours.

Von Ingo