Reportage zum ersten Krimifestival auf See mit Simone Buchholz, Stephan Ludwig, Sybille Baecker auf der MS Norröna von Smyril Line, von Manfred ErtelReportage zum ersten Krimifestival auf See mit Simone Buchholz, Stephan Ludwig, Sybille Baecker auf der MS Norröna von Smyril Line, von Manfred Ertel

Wenn Seekranke und Leichen auf Kreuzfahrt gehen: Mit Bestsellerautoren auf Crime Cruise – Krimifestival Premiere

Von Manfred Ertel

Es ist längst dunkle Nacht auf dem Nordatlantik und die Temperaturen gehen gegen Null. Die Musiker Rani und Ola haben die Herzen der Gäste in der Bord-Bar warm und wund gesungen, als irgendwann Simone Buchholz ihr Buch beiseite und zum Mikro greift. „Seemann, lass das Träumen, denk nicht an Zuhaus‘“, schmalzt die preisgekrönte Hamburger Krimi-Autorin auf der kleinen Bühne der „MS Norröna“, die zum ersten Krimifestival aufgebrochen ist, zu Gitarrenbegleitung. Es war das Lieblingslied ihres Großvaters, der einst als Bass an der Hamburger Staatsoper sang. Ob’s die Seekrankheit ist oder das zweite Bier, das sie vor das Mikro getrieben hat, oder ob vielleicht auch nur ein bisschen Anspannung von ihr abgefallen ist, weiß sie selbst nicht so genau zu sagen.

Krimifestival

Die „MS Norröna“ hält Kurs auf das kleine Hafenstädtchen Seydisfjördur auf Island. Zweieinhalb Tage Nordatlantik mit fünf bis acht Meter hoher Dünung und tiefen Wellentälern und ein Zwischenstopp auf den Färöern liegen hinter ihr. Eine halbe Nacht mit schwerem Seegang und entsprechenden Notfall-Tabletten muss Simone Buchholz noch durchhalten bis der Horizont endlich wieder in beschaulicher Ruhe da liegt wo er hingehört.

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Die Bestsellerautorin, frisch dekoriert mit dem Deutschen Krimipreis 2019, ist Teil eines Experiments: Der ersten Krimi-Kreuzfahrt. Die in Kiel ansässige Smyril Line segelt mit der einzigen Atlantikfähre von Hirtshals in Norddänemark über die Färöer Inseln an die Ostküste Islands – an die Schauplätze der ZDF-Krimiserie „Trapped – gefangen in Island“. Mit an Bord gut 60 Krimi-Enthusiasten, dazu etliche bekannte Krimi-Autoren und andere Experten vom Fach. Simone Buchholz liest aus ihrem frisch auf den Markt gekommenen Buch „Hotel Cartagena“, in dem es um eine ungewöhnliche Geiselnahme in einem Luxushotel am Hamburger Hafenrand geht. „Irgendwann schreibt jeder Autor einen Krimi in Hotels, weil wir alle zu viel Zeit in Hotels verbringen“, sagt sie, die Zuhörer lachen. Demnächst also auch auf einem Schiff? So wie in der ersten Folge von „Trapped“, in der die Fähre im Mittelpunkt steht?

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Simone Buchholz,Deutscher Krimipreis 2019

Immerhin hat der Törn ihre Kreativität schwer angeregt. Es war beim Abendessen mit Kollegen. „Nach zehn Minuten hatten wir ein Rahmenkonzept für einen Roman entwickelt“, erzählt sie. Es soll kein Krimi sein, eher ein Fall aus dem Mysterie-Genre. Und wer weiß, vielleicht wird er irgendwann sogar das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Erst mal hat es ihr aber der auf den Färöern prominente Autor, Sänger und Liedermacher Steintor Rasmussen angetan, von dem es neuerdings auch einen Krimi („Hass stirbt nie“) in Deutschland gibt. Von der Lyrik in seinen Liedern fühlt sie sich so berührt, dass sie die ins Deutsche übersetzen möchte. „Ich will das unbedingt machen“, sagt sie. Die Hamburger Autorin war von dem Versuch der Reederei, die flaue Wintersaison ein bisschen aufzupeppen, spontan begeistert als sie das erste Mal angesprochen wurde.  „Mein Herz hat sofort gehüpft“, sagt sie: „ich habe nur Schiff gehört, Nordatlantik, Färöer, Island und habe gedacht: Abenteuer! Super!“ Es ist eine bunte Schar, die das Wagnis außer ihr auf sich genommen hat. Krimi-Leser und –Leserinnen, Hobby-Autoren, Gelegenheitsschreiber, Neugierige und ein Dutzend Autoren, Musiker, Theatermacher, Übersetzer.

Sie kämpfen mit Wind und Wellen, und manche auch mit Seekrankheit, werden dafür aber mit tollen Bildern von den Färöern belohnt, die sich zum Teil wie grünweiße Pyramiden aus dem Atlantik erheben, und der verschneiten Fjordlandschaft Islands. Das abwechslungsreiche Programm reicht von Impro-Theater mit Regisseur und Schauspieler Michael Miensopust, der den Krimifans humorvoll auch ein bisschen den Spiegel ihres Bordlebens vorhält, bis zu Liedermacher Ola Nordskar, der mit melancholischen norwegischen Liedern manche Bier-seeligen Zuhörer zu Tränen rührt.

 

Es ist alles so ganz anders auf dieser Crime Cruise als auf normalen Lesungen, zu denen Autorinnen meist wochenlang alleine unterwegs sind, „ohne Band“, wie Buchholz sagt. Für die Künstler ist es eine Art Klassentreffen. „Man hat so wenig Gelegenheit sich so zu begegnen“, sagt sie, sich auszutauschen und mitzuteilen. Die Zuhörer wiederum erleben Mord und Totschlag ganz unmittelbar und manchmal auch zu direkt. Als der Kriminalist Manfred Lukaschewski mit zum Teil drastischen Tatortfotos zeigt, warum Leichen „die besten Zeugen sind“, zumindest für die Ermittler, kippt ein Zuhörer ohnmächtig vom Stuhl – ist aber schnell wieder auf den Beinen.

An Land bietet sich den Reisenden ein unvergesslicher Eindruck der Natur, viele sind zum ersten Mal so weit oben und so weit draußen im hohen Norden. An Bord bildet sich eine ganz besondere Art von Gemeinschaft und Nähe zwischen Schreibern und Lesern.  Niemand kann weg. „Ich fühle mich gar nicht als Autor“, sagt Stephan Ludwig, der mit seinem menschenscheuen und kettenrauchenden Kommissar Zorn die Bestsellerlisten erobert hat und als Krimiserie auch das Fernsehen. „ich habe noch nie auf einem Schiff gelesen“, sagt  er, „und vor einer Frau in der ersten Reihe die strickt.“ Gelächter. Es wird weiter gelesen. Und weiter gestrickt.

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Stephan Ludwig – Autor der Kommissar Zorn-Reihe

Als jemand, der öffentliche Verkehrsmittel hasst und Lesefestivals nicht mag konnte er sich eine Krimi-Kreuzfahrt anfangs so „überhaupt nicht vorstellen“. Sein Kultkommissar Zorn würde an Bord „durch die Hölle gehen, wenn er nicht weg kann, und total aus der Rolle fallen“, sagt er. Es klingt ein bisschen wie eine Selbstbestätigung. Und tatsächlich scheint es, als wundere sich Ludwig über sich selbst am meisten. „Vielleicht war es Neugierde“, sagt er, die Idee, die Färöer und Island kennenzulernen. Und das alles nicht auf einem Vergnügungsdampfer sondern, politisch korrekt, auf einem Versorgungsschiff. Das ist wichtig. So ziemlich für jeden. Jetzt genießt er das Gesamtpaket. Einen seiner nächsten Fälle zum Teil auf dem Nordatlantik spielen zu lassen, sagt er, „das würde mir sehr viel Spaß machen“.

Sybille Baecker, die mit ihren Schwaben-Krimis über einen Whisky liebenden Kommissar auf dem Buchmarkt bestens etabliert ist, hat es aus der Nähe von Tübingen auf See gezogen. Die geborene Emsländerin liebt den schroffen Norden und ist Schottland-Fan. „Raue Küsten, das Meer, Wind und Wetter, das ist meins“, sagt sie. Das gilt übrigens auch für Whisky. Einen Abend serviert sie „Krimi mit Schuss“ – Mord und Totschlag mit Whisky-Verkostung, ihr Alleinstellungsmerkmal. Whisky sei ein Genussmittel, mit Betonung auf Genuss, darauf legt sie Wert. Manche der Gäste nehmen sie beim Wort. Sie macht an Bord ganz neue Erfahrungen. „Seekrankheit ist eine richtig gute Recherche“, sagt sie, man lerne sich selbst und menschliche Befindlichkeiten noch mal von einer ganz anderen Seite kennen. Wie wahr.

Die Krimi-Kreuzfahrt war wohl mehr als nur ein Versuch, sie dürfte  vielmehr ein Anfang gewesen sein. „Die Leser sind viel dichter an den Autoren dran, man kommt viel leichter ins Gespräch“, sagt Sybille Baecker. „Das ist eine Art von Literaturfestival, die einzigartig ist“, sagt Simone Buchholz: „Ich glaube, das kann groß und gut werden.“

Der Wiederholungstermin für das Krimifestival steht bereits: Am 31. Oktober 2020.

DER AUTOR:

Manfred Ertel ist einer der renommiertesten Journalisten in Deutschland. Knapp 40 Jahre war Manfred politischer Autor und Korrespondent beim SPIEGEL. Im Jahr 2012 gewann er mit einem Team den Henri-Nannen-Preis für die Berichterstattung über die Wirtschaftskrise in Griechenland. Der in Hamburg-St. Pauli lebende 68-jährige arbeitet heute als freier Autor und Buchautor.

Manfred Ertel hat u. a. den Krimi “Foulspieler” geschrieben, in einem Genre über das man in Deutschland nur wenig weiß, dass aber seit den Zeiten des unseligen Schiedsrichter-/Wettskandals um Robert Hoyzer hohe Wellen schlägt. Der Krimi dreht sich um Spielmanipulationen im internationalem Fußball. Hier geht es zur vollständigen Rezension: https://worldwidewave.de/foulspieler

Von Ingo