Buchkritik, Rezension "Der Flussregenpfeifer", Tobias Friedrich, Bertelsmann Verlag. Roman um einen vergessenen Abenteurer, wahre GeschichteBuchkritik, Rezension "Der Flussregenpfeifer", Tobias Friedrich, Bertelsmann Verlag. Roman um einen vergessenen Abenteurer, wahre Geschichte

„Der Flussregenpfeifer“ ist die wahnwitzige Geschichte von Oskar Speck, der sich zu Beginn der 1930er Jahre mit seinem Faltboot auf eine Reise begibt, die erst 50.000, hauptsächlich gepaddelte, Kilometer und sieben Jahre später endet. Eine wahre Geschichte, Oskar Speck und seine abenteuerliche Reise um die halbe Welt hat es wirklich gegeben. Es ist der große Verdienst von Tobias Friedrich, diesen vergessenen Abenteurer und seine Leistung ausgegraben zu haben und ihn zu würdigen. Denn Specks Leistung steht auf einer Ebene mit der von tollkühnen Abenteurern wie Elly Beinhorn, die zur selben Zeit einen Alleinflug um die Welt mit einer winzigen Maschine wagte, aber deutlich bekannter ist als Speck.

Anlass für die Reise von Oskar Speck waren akute Geldprobleme:  der selbständige Elektriker wurde durch die Weltwirtschaftskrise in den wirtschaftlichen Ruin getrieben und las in einer Zeitungsannonce, dass Arbeiter für eine Kupfermine auf Zypern gesucht wurden. Mit 10 Reichsmark in der Tasche, kaum Proviant paddelt er mit seinem Faltboot und dem Mut der Verzweiflung von Ulm aus auf der Donau nach Süden. Aber Zypern ist nur eine Zwischenstation, seine Reise führt ihn an der arabischen Küste entlang bis nach Indonesien und nach Australien – in teils reißenden Flüssen und über das offene Meer, in dem er auch in Stürme gerät und auch mal zwei Tage ohne Schlaf durchpaddeln muss, um nicht zu kentern. Wer selber mal Wanderfahrten im Kajak unternommen hat, weiß, was für eine körperliche und mentale Leistung Oskar Speck vollbracht hat. Alle anderen können sich ja mal ein modernes Kajak leihen und nur mal 30 Kilometer am Stück paddeln – sie werden spätestens am nächsten Tag merken, was es bedeutet, deutlich längere Strecken unter widrigen Bedingungen zurückzulegen.

Das Buch ist viel mehr als eine Biografie, Autor Friedrich erzählt nicht stringent, sondern reiht Episoden der Fahrt und die Erlebnisse anderer Beteiligter aneinander. Friedrich hat Figuren dazu erfunden und Orte hinzugefügt, an denen Oskar Speck nie gewesen ist, kündigt dies im Vorwort aber an. So ist ein Roman entstanden, der Tatsachen und Fiktives vermischt, sich in mehrere Handlungsstränge gliedert und in den verschiedenen Zeitsträngen hin und her hüpft. Das macht das Buch nicht einfach zu lesen, wer aber mit einer Fülle an Charakteren und Zeitsprüngen gut umgehen kann, für den ist diese reiche Geschichte ein richtiges Fest: Oskar Speck begegnet Menschen, so auch einem Biologen, der ihm und dem Roman den Titel “Flussregenpfeifer” verpasst,  verliert sie wieder aus den Augen und bleibt dabei immer auf sein Ziel fixiert. Er leidet Hunger und Durst, stirbt fast an Malaria, wird beinahe ermordet, kommt in Australien in ein Kriegsgefangenenlager und baut sich nach dem Krieg dort eine Existenz auf.

Der Roman fließt anfangs eher gemächlich und langsam dahin, es folgt ein sehr stark geschriebener Mittelteil mit gelungenen Wendungen und interessanten Einsichten in das Weltgeschehen unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg, bevor das Buch im letzten Drittel einen richtigen Sog entfaltet. Orte, Menschen und Natur sind detailliert beschrieben, man kann das Salz der tobenden Wellen schmecken, die schwüle Luft spüren und hat die exotischen Gerüche in der Nase. Auch Spannung und Atmosphäre sind an vielen Stellen gekonnt aufgebaut lassen das Geschehen lebendig werden. Ein riesengroßer Pluspunkt ist die umfassende, hervorragende Recherchearbeit, die zugrunde liegt. Friedrich hat sich ausführlichst mit der Geschichte um Oskar Speck beschäftigt zu haben und ist dafür sogar eigens nach Australien gereist, denn Leben und Wirken des in Deutschland vergessenen Abenteurers wird in einem australischen Museum aufbewahrt. Friedrich hat mit “Der Flussregenpfeifer” dafür gesorgt, dass auch der Rest der Welt von den Leistungen von Oskar Speck erfährt und das auf eine sehr lesenswerte Art und Weise.

Der Flussregenpfeifer

Tobias Friedrich

Bertelsmann Verlag

Gebunden, mit Schutzumschlag, 512 Seiten, 24 Euro

ISBN: ‎ 978-3570104330

Weitere Informationen unter https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Der-Flussregenpfeifer/Tobias-Friedrich/C-Bertelsmann/e586007.rhd

Von Ingo