„Der Retter“ ist der dritte Kriminalroman der Reihe um den knorrigen Ermittler der Bundespolizei See, Liewe Cupido. Urlauber finden an der Küste von Northumberland einen Toten in Rettungsweste, der sich als der vermisste Kapitän eines vor zwei Jahrzehnten untergegangenen Schleppers entpuppt. Die Seenotretter von Ameland und Norderney bargen damals die Besatzungsmitglieder, dazu einen Koffer, der verschwunden ist. Erst an Land stellten die mit zwei Rettungskreuzern angerückten Helfer fest, dass der Kapitän des Schleppers fehlte.
Für die Ermittler wird der zunächst einfach scheinende Fall immer komplexer, je mehr sie herausfinden. Die Ermittlungen spitzen sich auf die Fragen zu, was man über den Kapitän der Pollux eigentlich weiß, warum er als einziges Besatzungsmitglied nicht gerettet werden konnte und die Aussagen Beteiligter an der Rettungsaktion sich widersprechen. Mit der niederländischen Polizei, der Bundespolizei See und dem jungen Team der Inselpolizei Norderney sind gleich mehrere Dienststellen mit dem Fall befasst. Neu in Cupidos Dienststelle bei der Bundespolizei See ist Xander Rimbach, den er von einer früheren Ermittlung bereits kennt und der mit seiner gegensätzlichen Art Cupido zwar verärgert, aber wertvolle, neue Impulse bringt. Cupido fungiert als Verbindungsmann zwischen Niederländern und Deutschen, er ist ein eigensinniger und sehr schweigsamer Mensch, der unter dem ungeklärten Tod seines als Fischer arbeitenden Vaters auf See leidet. Neben den Ermittlungen um den aufgetauchten Toten setzt er alle Hebel in Bewegung, um Genaueres zum Tod seines Vaters zu erfahren und den Schuldigen benennen zu können. In diesem dritten Buch kristallisiert sich langsam etwas mehr darüber heraus, was von Band zu Band immer mehr als zweiter Plot in Erscheinung tritt.
Orts- und Perspektiven- und Zeitwechsel mit Rückblicken auf die Havarie vor zwei Jahrzehnten und das Leben des Toten, verschiedene Polizei-Dienststellen, mehrere Schauplätze, sowie Liewe Cupidos private Recherche zum Schicksal seines Vaters geben bei diesem Fall erstmal ein gemächliches Ermittlungstempo vor. Aber die Wendungen machen das Buch spannend, die schuldhaften Verstrickungen einiger Beteiligter kommen Schritt für Schritt ans Tageslicht. Am Schluss werden die zunächst locker geführten Handlungsstränge zusammengezurrt und die vielschichtige Aufklärung ist wieder einmal überraschend.
Ganz nebenbei gewinnt der Leser interessante Einblicke in die Arbeit der Seenotretter und lernt Ost- sowie Westfriesische Inseln mit dem Wattenmeer besser kennen. Denn Matthijs Deen ist ein Meister bei der Beschreibung von Landschaften und Stimmungen, die Gegend und deren Bewohner sind toll gezeichnet. Er schildert seine Schauplätze atmosphärisch, seine Figuren voller Empathie und überzeugt mit dem schnörkellosen, wortkargen, aber tiefsinnigen Charakter des Ermittlers Cupido. Der Autor brilliert nicht nur mit hervorragenden Kenntnissen von den friesischen Inseln und der Küste sowie deren Landschaften und Bewohnern, er ist vor allem im maritimen Bereich voll in seinem Element. Ob Natur wie Sandbänke und Strömungen oder nautische Dinge wie Manöver und andere Dinge aus der Schifffahrt – es sitzt einfach, was er schreibt und zeugt von der großen Liebe zum Meer.
Der Fall ist packend in Szene gesetzt, wechselnde Perspektiven sorgen für Dynamik. Gekonnt springt der Autor durch Zeit und Raum. „Der Retter“ ist anspruchsvoll, spannend und unterhaltsam zugleich.
Der Retter
Mathijs Steen
mare Verlag
Gebunden, mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 384 Seiten, 23 Euro
ISBN: 978-3866487079
Weitere Informationen unter https://www.mare.de/buecher/der-retter-707