Buchkritik / Rezension "Zugemüllt", Oliver Schlaudt, C.H. Beck. Ein erschreckend gutes Buch, das sich einem der größten Probleme der Menschheit und ihrem Umgang damit widmet.Buchkritik / Rezension "Zugemüllt", Oliver Schlaudt, C.H. Beck. Ein erschreckend gutes Buch, das sich einem der größten Probleme der Menschheit und ihrem Umgang damit widmet.

In seinem Buch „Zugemüllt“ begibt sich Autor Oliver Schlaudt auf Reisen durch Deutschland. Sie führen ihn unter anderem auf die die weltweit größte Untertagedeponie für gefährliche Abfälle im hessischen Heringen, zu einem gigantischer Abwasserkanal bei Essen oder zu einer Tierkadaververwertungsanlage im Moseltal. Besonders eindringlich werden die Besuche der äußerlich nahezu unscheinbaren, aber rettungslos zerstörten Mülllandschaft von Bitterfeld oder auf der BASF-Sondermülldeponie auf einer künstlichen Rheininsel. Dazu kommen historische Ansätze, quasi ein Einblick in die Geschichte der Müllentsorgung.

Der verblüffende Ansatz einer „Müllreise“ und der hervorragend erzählte Reisebericht sind aber nicht nur wie ein Führer durch deutsche Abfalllandschaften, sondern Schlaudt, der Professor für Philosophie und Politische Ökonomie an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz ist, entwickelt in diesem Buch auch eine Müll-Philosophie. Der Begriff „Ewigkeitslast“, der im wahrsten Sinne des Wortes für immer auf dem Ruhrgebiet lastet, zeigt die eigentliche Schwere des Themas, wobei es Schlaudt gelingt, mit klugen Betrachtungen geistreich zu unterhalten.  Das Schlimme am Begriff „Ewigkeitslast“ ist, dass es keine Metapher, sondern die Realität darstellt, denn tatsächlich müssen rund dreihundert Pumpen bis in alle Ewigkeit Wasser aus alten Bergwerkschächten entfernen, sonst versänke das gesamte Ruhrgebiet. Auch der einstige Braunkohle- und Chemiestandort Bitterfeld ist so eine Region, in der sich menschliche Eingriffe und der produzierte Abfall nie wieder aus der Welt schaffen lassen wird, denn hier lagern Tausende Chemikalien im Boden und in Seen, interagieren miteinander und schaffen einen Giftcocktail, von dem man noch gar nicht weiß, wohin er sich entwickeln wird. Der Müllentsorgungsort ist für Schlaudt darum kein geographischer Ort, sondern ein fortlaufendes Geschehen mit zahllosen Unbekannten, die es erschweren, die Auswirkungen von Atommüll oder Chemikaliencocktails zu begrenzen. Menschheitsgeschichtlich haben wir den Zeitpunkt längst erreicht, an dem unser Müll überall ist und wir uns allmählich mit ihm selbst vergiften.

Jedem Buchkapitel vorangestellt sind fotografische Inszenierungen von Swaantje Güntzel, die Kunstwerke fotografisch nachstellt, aber dabei Müll darin versteckt. So ist bereits auf dem Buchcover eine sitzende Frau in einem Museum abgebildet, die ein idyllisches Landschaftsgemälde betrachtet – der Fußboden allerdings ist mit weggeworfenen Plastikflaschen zugemüllt.

Ein erschreckend gutes Buch, das sich einem der größten Probleme der Menschheit und ihrem Umgang damit widmet.

Zugemüllt – eine müllphilosophische Deutschlandreise

Oliver Schlaudt

C.H. Beck

Taschenbuch, 364 Seiten, 22 Euro

ISBN: ‎ 978-3406814648

Weitere Informationen unter https://www.chbeck.de/schlaudt-philosophie-muells/product/36288722

Von Ingo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert