Buchkritik/Rezension "Die Kultur der wilden Tiere, Carl Safina, C.H. Beck. So klug und anschaulich geschrieben, dass der Leser nach der Lektüre die (Tier)Welt mit anderen Augen sieht.Buchkritik/Rezension "Die Kultur der wilden Tiere, Carl Safina, C.H. Beck. So klug und anschaulich geschrieben, dass der Leser nach der Lektüre die (Tier)Welt mit anderen Augen sieht.

Der Biologe Carl Safina weist in „Die Kultur der wilden Tiere“ nach, dass alle sozial lebenden Tiere eine eigene Kultur haben. Wissen, das kommuniziert, gelernt und an Nachkommen weitergegeben wird. Auch Tiere sind nicht allein nur durch ihre Gene zu dem geworden, was sie sind. Anzunehmen, Tiere hätten keine Kultur, nur weil sie keine menschliche Kultur haben, ist vergleichbar mit der Ansicht, Tiere würden nicht unter- und miteinander kommunizierten, weil sie nicht wie Menschen Kommunikation haben. Dies ist schon lange widerlegt, nur die Anerkennung von Kultur ist bei Tieren noch nicht weit verbreitet. Dabei liegt dies bei Lernen und Wissensvermittlung auf der Hand: Tiere haben natürlich andere Kulturen als wir Menschen, aber so wie wir vieles von unseren Eltern und Lehrern lernen müssen, so tun sie das auch. Dabei geht es vor allem um überlebenswichtiges Wissen, wie man in seinem Biotop überlebt, also Nahrung und Wasser findet, Feinden ausweicht und sich fortpflanzt. So geben z. B. alte Elefantenkühe weiter, wie und an welchen Plätzen man in einer Dürre Wasser findet, weil sie selbst außergewöhnliche Dürren mit diesen Techniken überlebt haben. Affenkinder lernen von ihren Müttern, wie man Moos als Schwamm verwendet, um Pfützen aufzusaugen und das Wasser dann in den Mund zu pressen. Erlerntes Wissen geben Tiere an die nächste Generation weiter, auch taktisches Verhalten. Wenn Tiere ausgerottet werden, geht dieses Wissen verloren und die Techniken müssen neu erfunden und erlernt werden.

Carl Safina hat seine Beobachtungen, Erfahrungen und die Schlüsse daraus in drei Hauptkapiteln mit den Themen Familie, Schönheit sowie Frieden vor allem an drei Tierarten festgemacht: Pottwalen, roten Aras und Schimpansen. Natürlich zieht der renommierte Biologe, der nicht nur einer der besten Naturschriftsteller weltweit ist, sondern für auch für sein wissenschaftliches und schriftstellerisches Werk mit Preisen überhäuft wurde, auch Quervergleiche zu anderen Tierarten. Aber die besten Beispiele liefern die drei Tierarten, die er am meisten beobachtet hat: Besonders spannend sind Pottwale, die in Gruppen und Clans leben. Die Kühe bewachen den Nachwuchs gemeinsam, säugen sogar gemeinsam. Bei Tauchen in die Tiefsee wechseln sie sich ab, eine Kuh bleibt immer bei den Jungen an der Oberfläche, falls Fressfeinde angreifen. Sie rufen mit ihren Klicks alle herbei, falls Gefahr besteht. Erfahrene Walkühe zeigen den anderen dann einen bewährten Verteidigungsplan. Sie bilden einen Ring um ihre Kälber und einige tauchen unter diese, sodass die Kälber von allen Seiten und dreidimensional geschützt sind. Die kräftigsten Kühe schlagen dann mit Flossen auf angreifende Orcas ein, bis diese aufgeben. Papageien sind ebenso schlau wie Menschenaffen, ihr Gehirn ist im Verhältnis zum Körper größer als das eines Menschen. Sie lernen nicht nur zu sprechen, sondern entwickeln Vorgangsweisen, wie sie anderen Tieren und Menschen Futter stehlen. Die Schönheit ihres Gefieders ist nicht nur beeindruckend, sondern hat große soziale Funktionen, ähnlich wie Kleidung und Körperbemalung beim Menschen.

Das Buch ist sehr lebendig, Safina schildert bildlich sowie eindrucksvoll. Seine exzellenten Beobachtungen und Forschungen vermittelt er so authentisch, dass der Leser das Gefühl hat, mit auf den Reisen zu sein. Die acht Fotoseiten in der Buchmitte sind viel zu wenig, sie wären bei den einzelnen Tierarten zur sichtbaren Untermauerung des Geschriebenen auch besser gewesen. Aber auch so geben diese Bilder einen guten Einblick in das kulturelle Leben der Tierverbände. Flüssig, spannend verpackt und verständlich vermittelt Savina das Wissen über Lebensgemeinschaften, die der menschlichen Lebensweise sehr ähnlich sind. Dieses Buch ist so klug und anschaulich geschrieben, dass der Leser nach der Lektüre die (Tier)Welt mit anderen Augen sieht.

Die Kultur der wilden Tiere

Carl Safina

C.H. Beck Verlag

Gebunden, mit Schutzumschlag, 428 Seiten, 28 euro

ISBN: ‎ 978-3406783265

Weitere Informationen unter https://www.chbeck.de/safina-kultur-wilden-tiere/product/33298932

Von Ingo